Gedanken zum modernen Reisenden
Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte ich das Vergnügen und die Ehre, die Wasserfälle von Iguaçú bei einer unserer Inspektionsreisen zu besuchen. Es war eine gemütliche Tour auf der argentinischen und brasilianischen Seite der Fälle mit einer total lieben örtlichen Reiseleiterin (Brasilianerin – mit Vorfahren aus dem Hunsrück und Schlesien und damit lustigem Akzent). Und dann ist mir plötzlich ein Gedanke gekommen: Da stimmt doch irgendetwas nicht! Ich habe danach ganz bewusst auf die anderen Reisenden geachtet und das Ergebnis ist meines Erachtens erschreckend.
Die jüngeren Besucher,
… egal welcher Nation: lachen, kichern, machen Selfies auf Stöckchen und sind dann wieder weg. Schon vorher in Bahía kam es mir lustig vor, dass Touristen irgendwo am Strand im Wasser stehen und ein Bild von sich selbst im Meer schießen.
Das „Mittelalter“,
… so wie ich selbst: sucht meist händeringend nach dem besten Fotomotiv und ärgert sich, dass schon wieder jemand im Bild steht, drängelt sich schiebend und drückend nach vorne. Ich stelle hier mal ein Bild zu meinen philosophischen Reisegedanken: einen Schmetterling, den ich mit viel Geduld auf meiner Hand sitzend inmitten des tosenden Wassers abgelichtet habe – gar nicht so einfach, da mich andere Reisende immer wieder ganz hektisch angerempelt und das Tierchen fast verscheucht haben. Ja, ich gebe zu: ich fotografiere auch gerne und versuche auch, „schöne“ Fotos zu machen. Das Wichtigste dabei ist mir die Erinnerung, die Freude später daheim im kalten Winter beim Betrachten der Bilder die Reise noch einmal zu erleben. Schließlich schafft unser armes Hirn es ja kaum, während der Reise selbst all das Neue in der kurzen Zeit im Langzeitspeicher abzulegen. Aber ich vergesse beim Fotografieren nie, jedes Detail um mich herum bewusst zu erleben, zu genießen, aufzusaugen mit allen meinen Sinnen – und Hektik lasse ich gar nicht erst aufkommen.
Nun, fehlen noch die älteren Reisenden:
Fotografieren weniger, aber beklagen sich und schimpfen fast ununterbrochen – über die Hitze, dass man nass wird, dass hier viel zu viel los ist etc. – statt einfach einen Schritt langsamer zu schalten. Überhaupt: das Tempo, mit dem die Touristen über die Stege von Iguaçú hetzen, das macht einem Einkaufssamstag in der Vorweihnachtszeit alle Ehre, manchmal habe ich mich davon sogar anstecken lassen …
Die Quintessenz:
Was fast vollständig fehlt, egal welchen Alters und welcher Nation, das ist die Ehrfurcht, das Staunen, das Genießen. Ich habe wirklich bewusst darauf geachtet und nur ein anderes (deutsches) Ehepaar gesehen, das meines Erachtens hier wirklich „geistig anwesend“ war und die Wasserfälle von Iguaçú – sicher eines der spektakulärsten Naturschauspiele unserer wunderschönen Erde – bewusst wahrgenommen hat.
Vor ein paar Jahren haben wir noch über die Asiaten gelacht – ja, dort tickt man ein bisschen anders und das Reisen hat einfach einen anderen Stellenwert, sollen sie damit glücklich sein. Aber wir, die Europäer, seit wann ist denn auch bei uns das Bild von sich selbst das Wichtigste? Das Bild, das man auf Facebook stellt um den anderen zu beweisen, dass man da war, sich die Reise leisten kann? Wie kann das wichtiger sein als das eigene persönliche Erleben? Wieso bezahlen so viele Leute so viel Geld um in ferne Länder zu reisen, wenn sie es dann vor Ort nicht schaffen, mit vollen Sinnen dort zu sein? Traurig! Irgendetwas verstehe ich am modernen Reisenden nicht.
Eure botanische Ruppert-Küchenfee,
Robert Kraus