Rio de Janeiro Favela-Tour

Eindrücke von Dieter Ruppert

Eine Favela-Tour – muss das sein? Für jemand, der an globalen demographischen Entwicklungen und auch an denFavela-Tour Sozialverhältnissen interessiert ist wie ich, kann das überhaupt keine Frage sein. Ein absolutes Muss!! Andererseits sollte jemand, der an so etwas nur bedingt interessiert ist, sich eine solche Tour eher ersparen.

Eine kurze Erklärung vorab

Rio hat ca. 700 Favelas (Armenviertel, Slum, Ghetto) Die größten und bekanntesten davon: Vidigal, Complexo de Alemão und Rocinha, in der die meisten geführten Touren durchgeführt werden. Dabei sind einige der früheren Favelas auf Grund eines Sozialprogrammes „Von der Favela zum Stadtbezirk“ inzwischen formal keine Favela mehr, sondern Stadtbezirk (bairro). Der Begriff „Favela“ stammt im Übrigen von einer brasilianischen Kletterpflanze und wurde von dem Polizeipräsidenten von Rio 1900 erstmals verwendet, weil die Armensiedlungen die Berge wie eine Kletterpflanze emporwuchsen.

Favela wird häufig mit „Slum“ übersetzt, was aber den Gegebenheiten nicht zur Gänze gerecht wird. Denn während dies in den wirklich armen Favelas ein passender Begriff wäre, gehören in den „besseren“ Favelas die Einwohner (um einmal die Sozialaufteilung von George Orwell zu verwenden) zur oberen Unterschicht oder sogar unteren Mittelschicht.

Meine Favela-Tour in die Rocinha

Die Anfahrt zur Rocinha erfolgt über die direkt angrenzenden Nobelviertel Leblon und Gaveá. Die reichen Haushalte dort bieten praktischerweise vielen Favela-Bewohnern Arbeitsplätze – nicht durchschaubar, ob legal oder illegal. Es ist auch keine Abgrenzung zwischen reichen und armen Vierteln erkennbar. Irgendwie „verzahnen“ sich die Gebäude und die Straßen werden merklich enger und bald erfolgen die Waren- und Personentransporte nur noch mit Motorrädern (auch Taxis). Bei uns ging es dann zu Fuß weiter. Vorbei natürlich auch an einigen Souvenirhändlern – man fühlt sich bald wie in orientalischen Souks.

Wobei der Ausgang klar ist – immer nach unten. Die Favela Rocinha entstand stetig wachsend zwischen 1950 und 1970. Dabei kamen überwiegend Gemüsegärtner und Händler, emigriert aus dem armen Nordosten von Brasilien. Heute leben in Rocinha zwischen 80.0000 und 250.000 Menschen. Das Zusammenleben macht einen in sich geordneten und auch gepflegten Eindruck. Jedoch ist das Problem, dass sich diese Ordnung dem Einfluss der kommunalen Politik entzieht und demzufolge von illegalen Elementen (Drogen-Mafia) gesteuert wird. Dabei gewinnt man den Eindruck, Veränderungen seien vom Großteil der Favela-Bewohner nicht gewünscht. Und nach meiner Einschätzung auch nicht vom Rest der Bevölkerung Rio`s. Kein Wunder, denn jeder Eingriffsversuch der Staatsmacht zieht praktisch kriegsähnliche Zustände nach sich.

Auch wenn ich durchaus den Eindruck hatte, dass man als (konsumierender) Tourist gern gesehen ist, hatte ich doch irgendwie die ganze Zeit über ein seltsames Gefühl. Zugegebenermaßen war ich dann doch froh, als es über die schönen Strände São Conrado, Gávea, Leblon und Ipanema wieder zurück zu meiner geliebten Copacabana ging.

Aktuelle Anmerkung: Zurzeit bietet RuppertBrasil die Favela-Touren nicht an, da sich, auch wenn man dies in den normalen Stadtbezirken nicht merkt, auf Grund der schleppenden Bezahlung der Polizei in Rio und auch ansonsten fehlender Mittel der Kommune die Sicherheitslage in den Favelas verschlechtert hat.