Funde in der Serra da Capivara und ihre Folgen

Die Besiedlung Südamerikas war viel früher als lange behauptet

Die vom  ZDF am 19.02.2017 in der Sendung „Terra X“ ausgestrahlte Dokumentation über die Felsmalereien und Urzeitfunde in der Serra da Capivara ist Beleg dafür, dass es wohl endgültig mit der alten Schulweisheit, dass Amerika ausschließlich über die Beringstraße von Asien aus besiedelt worden sei, vorbei ist.  (Wer die Sendung verpasst haben sollte, kein Beinbruch. Diese kann über die ZDF-Mediathek nach wie vor abgerufen werden. Dort finden Sie bei Interesse auch ein Interview mit der Archäologin Niède Guidon und weitere Informationen und tolle Bilder.)

Wie bei meinem ersten Besuch die Funde in der Serra da Capivara beurteilt wurden

Ich erinnere mich noch gut, was Anfang der 90er-Jahre, als ich erstmals die Serra da Capivara besuchte, über die Funde der Archäologin Niède Guidon, die nach Rückkehr aus dem Exil in der 70er-Jahren mit der Erforschung der Funde in der Serra da Capivara begann, zu hören war. Im tiefsten Piauí gebe es einen Nationalpark mit Felszeichnungen, die nach Angabe einer Brasilianerin angeblich 50.000 Jahre alt seien, was aber niemand glaube. Selbst Brasilianer kolportierten die Annahme, mit diesen Jahresangaben wolle man nur Tourismus anlocken und Fördermittel für die weiteren Arbeiten „generieren“.
Vor diesem Hintergrund muss ich gestehen, auch unsere Reise war damals nicht von dem Gedanken geprägt, einen wichtigen Ort für die Besiedlung Amerikas zu besuchen, sondern der Neugier auf brasilianische Provinz und den Naturschönheiten der Region geschuldet. (Beides wurde im Übrigen nicht enttäuscht, als wir nach einer mehrstündigen Taxifahrt mit einem netten, aber „entfesselten“ Fahrer über damals noch zumeist Sandpisten rasend in São Raimundo Nonato ankamen. Ein malerisches Provinzstädtchen, eine wunderschöne, wenn auch sehr trockene Landschaft im Nationalpark, interessante Fundstätten und der beste „Piranha blau“, den wir je zu essen bekommen haben.) Aber zurück zum Thema – selbst unsere Hotelbesitzerin glaubte damals nicht an das angebliche Alter der Funde.

Die (bisher) herrschende Meinung

Wie auch, denn der Grundsatz ist ja, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Sprich, unsere „Schulweisheit“ und die herrschende Lehre der Archäologie besagten ja ganz eindeutig, dass die gesamte Besiedlung Amerikas durch sibirische Nomaden erfolgt sei. Man sprach dabei von der sog. Clovis-Kultur, da bei Clovis im US-Bundesstaat New Mexico 1937 zum ersten Mal über 10 000 Jahre alte Speerspitzen und Knochen erlegter Mammuts gefunden worden waren. Für die Vertreter dieser Auffassung sprachen die vielen Funde von Alaska über New Mexico bis Feuerland. Und: nichts davon war älter als 13 000 Jahre!

Was da nicht dazu passte, konnte also nur falsch sein. Deswegen wurden die Argumente von Niède Guidon, die aus Feuerstellen ein Alter der Besiedlung der Serra da Capivara von ca. 50.000 Jahren ermittelte, flott damit abgetan, dass es sich wohl um Buschfeuer und nicht um Feuer von Menschen handle und dass Guidon ohnehin mit Methoden arbeite, die nicht westlichen Standards entsprächen. Damit galt für die „seriöse Forschung“ das Thema als erledigt.
Diese ließ sich auch lange Zeit durch andere Funde in Südamerika wenig irritieren. So erntete der Archäologe Thomas Dillehay, Professor für Anthropologie an der University of Kentucky, nur Hohn und Spott, als er 1987 mitteilte, im südchilenischen Monte Verde Hütten, Steinwerkzeuge und Holzmörser, Nahrungsreste wie Nüsse und Beeren und sogar einen Kinderfußabdruck gefunden zu haben, die sämtlich rund 14 500 Jahre alt seien. Inzwischen ist auch dieser Spott verstummt.

Und dank der Funde in der Serra da Capivara scheint nun seit 2016 wirklich klar zu sein, dass die Besiedlung über die Beringstraße und die Clovis-Kultur keine abschließende Erklärung für die Besiedlung Südamerikas sein kann.

Die neuen wissenschaftlichen Zeitangaben

Denn Eric Boëda von der Universität Paris-Nanterre stellte mittels der Vermessung von 6000 Holzkohlepartikeln fest, dass die Feuerstellen der Serra da Capivara menschlichen Ursprungs sein müssen und ein Alter von 22.000 Jahren haben. Die Geophysikerin Christelle Lahaye von der Universität Bordeaux Montaigne konnte mit Thermolumineszenzdatierung bestimmen, dass gefundene Steinwerkzeuge in Erdschichten lagen, die letztmals vor 30.000 Jahren dem Licht ausgesetzt waren. Und Untersuchungen von Markus Reindel vom deutschen archäologischen Institut erklären auch, warum in dieser heute so trockenen Gegend damals reges Leben herrschte. Seine Bodenproben belegen, dass hier vor 20.000 bis 30.000 Jahren eine blühende Landschaft mit reichlich Wasser und Nahrung für Mensch und Tier zu finden war.

Und woher kommen nun die ersten (Süd-)Amerikaner?

Als Laie werde ich mich naturgemäß etwas zurückhalten, aber zu den bisherigen Theorien außer der Beringstraße wie z.B. der Einwanderung über das Meer von Polynesien aus rückt Frau Guidon einen anderen Aspekt in den Mittelpunkt. Sie vertritt die Meinung, dass die ersten Amerikaner vor mehr als 30.000 Jahren aus Westafrika kamen. Ihr Argument: Der Südäquatorialstrom läuft von Westafrika nach Südamerika und die Passatwinde helfen zudem. Nachdem Thor Heyerdahl mit einem einfachen Boot aus Papyrus belegt hat, dass man die Strecke bewältigen kann, scheint die Theorie schon etwas für sich zu haben. Zudem wurde in der Serra ein uralter Schädel mit typisch afrikanischen Merkmalen ausgegraben und Forscher entdeckten, dass ein tausende Jahre alter versteinerter Kot afrikanische Parasiten enthielt. Auch zu den Wanderungstheorien hält das ZDF einen kurzen Beitrag bereit.

Die Zukunft wird weisen, was richtig ist. Insbesondere die fachübergreifende Forschung und die heutigen technischen Mittel werden sicher noch manches zu Tage fördern. Zwischenzeitlich wird auch verstärkt in der Chapada Diamantina gegraben. Es ist sicher lohnend, dies über die Jahre zu verfolgen, denn wie man sieht, gilt auch hier das Motto von James Bond: „Never Say Never Again“!

Unabhängig davon bietet bereits heute der Nationalpark Serra da Capivara viele interessante Felsmalereien und Funde und vor allem überwältigende Natureindrücke.  Deswegen lohnt sich für jeden, den solche Dinge interessieren, eine Reise in die Serra da Capivara.

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